Ausgangssituation

Ein Schweizer Start-Up mit etwa 150 Mitarbeitern entwickelt seine erste Hubschrauber-Generation, hat bereits 2 Prototypen fertiggestellt und möchte dieses erste Modell homologieren, damit die ersten Hubschrauber gefertigt und verkauft werden können. Dem Unternehmen liegen bereits Bestellungen für einen Fertigungszeitraum von 2 Jahren vor.

Dem Gründer ist die Aerospace Compliance grundsätzlich vertraut. Deshalb hat er das Unternehmen entsprechend entsprechend organisiert und sowohl die Prozesse der Entwicklung als auch der Fertigung in einem PLM-System abgebildet.

Während des Homologationsprozesses anhand des zweiten Prototyps muss das Unternehmen feststellen, dass die Einrichtung und die Prozesse im PLM-System nicht den Vorgaben der wichtigsten Luftfahrtaufsichtsbehörden FAA und EASA entsprechen. Für eine erfolgreiche Homologation ist die Konfiguration eines regelkonformen PLM-Systems und ein nochmaliger Entwicklungs- und Fertigungsprozess anhand eines dritten Prototyps innerhalb dieser neuen Umgebung notwendig. Dadurch ist die Finanzierung des Unternehmens nicht mehr gegeben.

Fragestellung
  • Wie schafft es das Unternehmen innerhalb kürzester Zeit die bestehende PLM-Umgebung an die Aerospace Compliance-Vorgaben anzupassen, dass der dritte Prototyp möglichst kurzfristig in dieser Umgebung entwickelt und gefertigt werden kann?
  • Wie kann diese Korrektur möglichst kosteneffizient umgesetzt werden, weil der Investor nach Investition von fast 400 Mio. $ nur noch begrenzte Investitionsbereitschaft zeigt?
  • Wie kann die Wissenslücke über die Vorgaben der wichtigsten Luftfahrtaufsichtsbehörden FAA und EASA geschlossen werden, obwohl am Markt keine entsprechenden Ressourcen verfügbar sind?
Lösung

Das Unternehmen hat sich spontan für ein PLM Beratungsunternehmen entschieden und lässt sich nach einer kurzen Briefing-Phase über die Bestandsituation ein Lösungskonzept erstellen.

Das Lösungskonzept priorisiert die angespannte kurzfristige Budgetsituation und den eng begrenzten Umsetzungszeitraum. Aspekte wie dauerhafte Kosten und der spätere Ausbau der PLM-Umgebung zur Prozessoptimierung werden erst einmal nachrangig behandelt.

Bei dieser Betrachtung stellt sich heraus, dass die manuelle Anpassung der bestehenden PLM-Umgebung an die Homologationsvorgaben zu lange dauert und das dafür notwendige Budget kaum realisierbar ist. Zudem ist das notwendige Aerospace Compliance-Wissen für das Unternehmen nicht am Markt verfügbar, weil es sich um eine sehr begrenzte Ressource handelt, das bei wenigen Flugzeug- und Softwareherstellern gebunden ist. Weder das Budget noch die Unternehmensgröße lassen die Anwerbung einer entsprechenden Ressource zu.

Die wirtschaftlichste Lösung beinhaltet die Abschreibung der bestehenden PLM-Umgebung inklusive der bereits enthaltenen Implementierungsleistungen und des Großteils der Lizenzen, die den Anspruch der Homologation nicht erfüllen können. Stattdessen wird die Nutzung einer vordefinierten PLM-Konfiguration für die Luftfahrtindustrie vorgeschlagen, die bereits notwendige Prozesse beinhaltet. Diese Lösung ist zwar nicht mehr ganz aktuell und zieht auch deutlich höhere Lizenzkosten nach sich, ist aber aufgrund der fehlenden Aerospace Compliance-Wissensgrundlage und ebenso fehlender externer Beratungs-Optionen alternativlos. Zudem können Differenzen zwischen der verfügbaren Compliance-Abdeckung und dem aktuellen Stand im System nachgepflegt werden. Der Implementierungsaufwand bleibt trotz dieser Nachpflege bei einem kleinen Bruchteil einer komplett manuellen Implementierung und erfüllt damit den Anspruch an ein sehr begrenztes Implementierungsbudget.

Aufgrund des gestörten Verhältnisses zwischen dem Unternehmen und dem bestehenden PLM-Implementierungspartner sieht die Lösung vor, dass sich das PLM Beratungsunternehmen als Lösungspartner und Mittler zwischen die zerstrittenen Parteien schaltet und damit die direkte Kommunikation zwischen den zerstrittenen Parteien auf ein Mindestmaß beschränkt.

Umsetzung

Im ersten Schritt nach der Beauftragung wurde die Bestandsituation am Standort des Unternehmens aufgenommen. Dabei wurde auch Kontakt mit dem bisherigen PLM-Implementierungspartner hergestellt und seine Sicht der Situation betrachtet. Der zweite Schritt betrachtet die Beschreibungen des Homologations-Abbruchs und die dabei festgestellten Defizite. Diese Beschreibungen waren jedoch nicht vollständig, sondern nur ein Ansatz dessen, was noch umzusetzen wäre. Details zu den Anforderungen finden sich in umfangreichen Zertifizierungshandbüchern der FAA und EASA. Eine echte Fit-Gap-Analyse war mit dieser Grundlage nicht erreichbar bzw. zu zeit- und kostenaufwendig.

Aus diesem Grund war die Abschreibung der bestehenden Investition alternativlos und eine vorkonfigurierte Branchenlösung an die aktuellen Vorgaben anzupassen. Um dieses Ziel für das Unternehmen möglichst kostengünstig zu erreichen war es notwendig, dass der bisherige PLM-Implementierungspartner einen Großteil der existierenden Lizenzen in die benötigten Lizenzen umwandelt. Ein weiteres Ziel war, den bisherigen PLM-Implementierungspartner aufgrund der verzwickten Lage dazu zu bewegen, die Lizenzen ohne einmalige Kosten umzuwandeln. Das war besonders heikel, weil die vorkonfigurierten Lizenzen die 2,5fachen Kosten verursacht hätten.

Bei diesem Stand der Bemühungen hat das Unternehmen in Anbetracht der Implementierung-, Lizenz- und Homologationskosten für einen weiteren Prototyp, die dafür notwendige Zeit und die Verweigerung des Investors zur Nachfinanzierung Insolvenz angemeldet. Durch den Insolvenzverwalter wurde die Unternehmensführung mit erfahrenem Personal eines führenden Hubschrauberherstellers neu besetzt und der Verkauf des Unternehmens an einen führenden Hubschrauberhersteller eingeleitet, dessen PLM-System und Aerospace Compliance-Fachwissen in der Folge für die Homologation genutzt werden konnte. Die Homologation ist für 2023/24 geplant.

Projektmethode

Als reines Beratungsprojekt ohne Implementierung einer Lösung wurde keine gezielte Projektmethode verwendet.

Herausforderung

Die Verhältnis zwischen dem Unternehmen und seinem PLM-System-Lieferanten war nachhaltig gestört. Die zur Lösung notwendige Kommunikation musste erst wieder aufgebaut werden, so dass von beiden Seite ein Mindestmaß zur Lösungsbereitschaft hergestellt werden konnte. Das Unternehmen hatte im Vorfeld zur Homologation notwendige Implementierungsmaßnahmen aus Kostengründen gestoppt, weil diese weit über den veranschlagten Kostenrahmen hinaus gegangen sind. Zudem hast sich herausgestellt, dass der PLM-Partner nicht über genügend Aerospace Compliance-Fachwissen verfügte, um die Implementierung erfolgreich zu Ende zu bringen. Vielmehr war es so, dass die bestehende Implementierung keine Grundlage zur erfolgreichen Erfüllung der Vorgaben bereitgestellt hat.

Die fehlende Projekt- und damit auch Unternehmensfinanzierung hat die Lösungsumsetzung nachhaltig verzögert.

Projektinformationen

Projektdauer: 2 Wochen

Projektteam: 1 PLM Consultant (Teilzeit) und 1 Solution Architekt (Teilzeit)

Projektbudget: 5.000 € Beratungsleistung, 0 € Implementierungsleistung, 0€ Lizenzen und Infrastruktur

Fazit

Dieses Projekt ist ein abschreckendes Beispiel dafür, was mit einem unterbudgetierten Projekt und in der Folge mit einem Unternehmen passieren kann. Was bringt es, wenn sich Kunde und Lieferant bei Verhandlungen so weit von der Realität entfernen, dass die realistischen Kosten die Planungen soweit über den Haufen werfen, dass das Unternehmen daran zerbricht? Was bringt es die Kosten soweit zu drücken, dass deshalb kein professionelles Personal eingesetzt werden kann und als Resultat nur Schrott abgeliefert wird? Dieses böse Spiel wird vorrangig von übereifrigen und nachhaltlosen Einkaufsabteilungen getrieben und von Lieferanten im Wettbewerb mitgespielt. Immer zum Schaden der einkaufenden Unternehmen. Lieferanten fordern systematisch nach Ablieferung von Teilergebnissen nach und versuchen das Beste für sich selbst herauszuholen. Diese Form der „Partnerschaft“ bereitet sicherlich keinem Freude und zerstört den Unternehmensruf auf allen Seiten.

Dem Kundenprojekt hat von Anfang an die Projektgrundlage in Form einer stimmigen Finanzierung und damit zusammenhängenden kompetenten Dienstleistungspartnern gefehlt. Bei realistischer Vorgehensweise wäre das Budget entweder höher angesetzt worden oder die fehlende Finanzierbarkeit des Vorhabens wäre vor den Finanzierungsrunden klar gewesen. Zumindest zwischen dem Unternehmen und dem PLM-System-Lieferant hat nie ein vertrauensvolles und respektvolles partnerschaftliches Verhältnis bestanden. Ein Investor hat fast 400 Mio. $ verloren. Ein Unternehmensgründer mit großen Träumen ist ebenso ruiniert und musste sich einem Strafverfahren stellen. Der Lieferant hat seinen Kunden und damit jährlich wiederkehrende Einnahmen sowie neue Geschäftsmöglichkeiten verloren. Kunden des Unternehmens warten bis heute vergeblich auf ihre Ware. Das hätte bei anständigem und realistischem Umgang miteinander nicht sein müssen.

Mein Arbeitgeber

Hersteller-unabhängiges PLM Beratungsunternehmen

Meine Rolle

Ich habe das Projekt als PLM Consultant begleitet und dabei die Bestandsaufnahme sowie die Kommunikation auf und zwischen Kunden- und Lieferantenseite übernommen. In Zusammenarbeit mit einem Solution Architekt habe ich das Lösungskonzept erstellt und vorgestellt.