Hi, herzlich willkommen in dieser Lektion, in der wir uns mit Six Sigma beschäftigen.

Welcher Inhalt wird in dieser Lektion behandelt?

Wir sprechen in den nächsten Minuten über:

  • die Entstehungsgeschichte dieser Methode,
  • die Dimensionierung der Projekte,
  • den DMAIC-Kernprozess,
  • wir gehen ganz oberflächig auf die vielen Werkzeuge zur Umsetzung ein,
  • beschäftigen uns mit dem interessanten Rollensystem,
  • den Six Sigma-Levels für die Zertifizierung von Einzelprozessen,
  • wir betrachten SPICE als Abwandlung für die Softwareentwicklung,
  • die Vorteile, die uns Six Sigma bringt,
  • und die häufigsten Ursachen, warum Six Sigma-Projekte scheitern.

Jetzt aber zum Inhalt dieser Lektion:

Was ist Six Sigma?

Six Sigma ist eine Qualitäts-Managementmethode, die sowohl eine umfangreiche Sammlung von Werkzeugen, als auch einen Leitfaden zur Umsetzung zur Verfügung stellt. Six Sigma ist unter anderem deshalb so interessant, weil 2/3 aller Großunternehmen in der Fertigungs- und Dienstleistungsindustrie weltweit diese Methode einsetzen. Für uns in der Softwareentwicklung ist diese Methode ebenfalls interessant, weil es mit SPICE eine speziell für unseren Bereich angepasste Prozessmanagement-Abwandlung gibt und das Zusammenspiel mit Großunternehmensstrukturen somit schnittstellenlos ineinanderläuft.

Wo ist Six Sigma entstanden?

Die Vorläufer von Six Sigma kommen aus dem japanischen Schiffbau und wurden 1987 von Motorola zur heute bekannten Six Sigma Methode weiterentwickelt. Den weltweiten Siegeszug der Methode hat Jack Welch von General Electric angestoßen, nachdem er Six Sigma 1996 bei GE einführte und damit in der Folge große Erfolge für das Unternehmen erzielen konnte. Zahlreiche andere Unternehmen haben es ihm danach gleichgetan.

Abb.: Six Sigma Übersicht

Im Anhang an diese Lektion findest Du ein PDF im A3-Format mit der hier abgebildeten Six Sigma Übersicht. Du kannst Dir das gerne ausdrucken und in Deinem Projektraum als Diskussions- und Erklärungsgrundlage für das Team an die Wand hängen.

Wie sieht ein Six Sigma Verbesserungsprozess bzw. DMAIC-Kernprozess aus?

Ein Six Sigma Verbesserungsprozess wird immer im Rahmen eines Projekts umgesetzt. Projekte sollen 3-6 Monate nicht überschreiten. Das durchschnittliche Optimierungspotenzial für Großunternehmen soll bei 250.000 € liegen und aufgrund seines Aufwands 50.000 € nicht unterschreiten. Der Kernprozess umfasst dabei

  1. das Erkennen und die Beschreibung eines Problems,
    • oft unter Verwendung normierter Analysemethoden,
    • spezieller Flowcharts zur Visualisierung des Ablaufs,
    • einer Baumstruktur zur Beschreibung messbarer kritischer Parameter, die qualitätsbestimmend sind,
    • Kundenreklamationen
    • und einer klaren Abgrenzung, welche Aspekte Untersuchungsbestandteil im Projekt sein sollen und welche nicht,
    • die Definition eines gewünschten Zielzustands,
    • eine erste Vermutung für die Abweichung zum Zielzustand,
    • die Projektdefinition mit den notwendigen Rollen und Ressourcen
    • sowie eine Zeitplanung (siehe hier unter DEFINE).
  2. Unter MEASURE folgt die Beschreibung und Berechnung der Auswirkungen
    • mit einer Untersuchung, wieweit der aktuelle Prozess die bestehenden Anforderungen erfüllt,
    • einer Prozessfähigkeitsuntersuchung für jedes relevante Qualitätsmerkmal,
    • der Visualisierung des bestehenden Prozesses mithilfe eines Ablaufdiagramms,
    • sowie der Untermauerung des Verbesserungsbedarfs mit statistischen Zahlen oder einer Versuchsplanung zur Verbesserung der aktuellen Situation.
  3. Auf dieser Basis folgt unter ANALYZE die Untersuchung der Ursachen des Problems
    • oft anhand von Wertschöpfungs-, Materialfluss- oder Wertstromanalysen
    • und unter Verwendung der in der vorherigen Phase zur Verfügung gestellten Prozess- und Versuchsdaten, die mit statistischen Methoden ausgewertet werden,
    • um daraus folgend die wesentlichen Steuerungsquellen zu identifizieren und damit tieferliegende Ursachen des Problems zu erkennen.
    • Mit den heutigen technologischen Möglichkeiten kommen in dieser Phase mehr und mehr Deep Learning Verfahren zur Anwendung.
  4. Ist die Ursache dann erst einmal gefunden, dann folgt in der IMPROVE-Phase die Entwicklung von Lösungen, die das Problem beseitigt, indem
    • über Brainstorming und andere kreative Techniken Lösungsansätze gefunden werden,
    • die Verbesserung geplant,
    • getestet und schließlich
    • eingeführt wird.
    • Bestandteil dieser Phase ist auch eine Kosten-Nutzen-Analyse, die über die Fortführung des Projekts oder die Beibehaltung des Istzustands entscheidet,
    • eine graphische Soll-Darstellung
    • und eine FMEA-Analyse, die auch für die Lösung Risiken ermittelt, diese konsequent minimiert oder Verfahrensanweisungen bei Eintreten eines Risikos zur Verfügung stellt.
  5. Nach der Optimierung eines Prozesses folgt in der Phase CONTROL die kontinuierliche Messung der Verbesserung in der Praxis.
Abb.: Measure & Grow aus SAFe – Quellenangabe: 07
Wie passt Six Sigma zum Scaled Agile Framework (SAFe)?

Im SAFe-Framework ist der Six Sigma-Ansatz in der Portfolio- und Full-Skalierung mit dem Punkt „Measure & Grow“ implementiert.

Dazu gehören

  • eine Prozessdokumentation,
  • ein Prozessmanagement- und Reaktionsplan,
  • ein Precontrol über geeignete Messparameter, die ein Abweichen vom Ziel rechtzeitig anzeigen
  • und eine Projekterfolgsberechnung.

Aufgrund der englischsprachigen Anfangsbuchstaben nennt man diesen am häufigsten verwendeten Kernprozess auch DMAIC-Kernprozess.

Wo wird der DMAIC-Kernprozess angewendet?

Der Six Sigma Kernprozess wird in der Regel für die nachhaltige Verbesserung bestehender Unternehmens- und Projektabläufe verwendet. Allerdings sei auch gesagt, dass sich die komplette Nutzung des Kernprozesses erst rentiert, wenn aufgrund des erheblichen Aufwands der Rentabilitätszuwachs durch die Verbesserung mind. 50.000 € beträgt. Genau aus diesem Grund ist in der IMPROVE-Phase die Kosten-Nutzen-Analyse eingebaut. Aufgrund der spät zur Verfügung stehenden Grundlagendaten im relativ weit fortgeschrittenen Status, aber trotzdem noch früh genug, um Mittel und Ressourcen wirtschaftlich zu verwenden. Diese wirtschaftliche Eingrenzung führt dann auch dazu, dass nicht jedes kleine Verbesserungspotenzial den Six Sigma Prozess durchlaufen muss. Oft ist die Verbesserung dann leichter und schneller unter der Hand umgesetzt.

Welche Werkzeuge stellt Six Sigma zur Verfügung?

Zur Umsetzung von Six Sigma stehen ganze 49 offizielle Werkzeuge zur Verfügung, die sich auf die Bereiche

  • Kunden-Werkzeuge
  • Projekt-Werkzeuge
  • Schlankheits-Werkzeuge
  • Management-Werkzeuge
  • Design-Werkzeuge
  • Grafik-Werkzeuge und
  • Statistik-Werkzeuge

verteilen. Auf jedes dieser Werkzeuge einzugehen, würde hier den Zeitrahmen und den Zweck der Grundlagenvermittlung sprengen. Zu den Werkzeugen gehören aber z.B.

  • Anforderungsstrukturierung
  • Kundeninterviews
  • Kundenfragebögen
  • Projekt- und Teambeschreibung
  • Baumdiagramme
  • Kosten-Nutzen-Analysen
  • Standardisierung
  • Wertstromanalysen
  • Flussdiagramme
  • Entscheidungsbäume
  • Beziehungsdiagramme
  • FMEA
  • Histogramme
  • und noch viele viele mehr
Wie sehen die Rollen bei Six Sigma aus?

So richtig interessant wird es bei Six Sigma, wenn es um die Rollen geht. Die Rollen verteilen sich dabei von der Unternehmensführung bis zur operativen Umsetzung und beinhalten auch beratende Funktionen. Die Rollenbezeichnungen erinnern sehr an die Meistergrade japanischer Kampfkunst und sind streng hierarchisch aufgebaut.

In der obersten Hierarchie befinden sich die Champions, die sich auf folgende Rollen verteilen:

  • Der Leiter des Strategischen Managements ist dabei der Unternehmer, der idealerweise über langjährige Erfahrung verfügt und sein Wissen an Universitäten weitergibt. Diese Rolle trägt den Initialen Gürtel (auf Englisch: den Initial Belt) und existiert im Unternehmen nur ein Mal.
  • Der Auslieferungs-Champion ist ebenfalls Mitglied der Geschäftsleitung, er ist der operative Motor und Fürsprecher für Six Sigma im Unternehmen. Er hat damit eher strategische und disziplinarische Aufgaben. Mit der Umsetzung hat er wenig zu tun. Sein Gürtel richtet sich nach der später folgenden Eingruppierung nach Erfahrung und Expertise – und auch diese Rolle gibt es nur ein Mal.
  • Der Projekt-Champion ist in der Regel Mitglied des mittleren Managements und Auftraggeber für die einzelnen Six Sigma-Projekte. Die Projekt-Champions sind oft die Prozess-Owner für die Unternehmensabläufe und damit für deren Verbesserung sowie nachfolgende Kontrolle verantwortlich. Je weniger Projekt-Champions es gibt, desto besser können die Unternehmensabläufe koordiniert werden. Je größer das Unternehmen, desto mehr Projekt-Champions sind allerdings notwendig. Die Anzahl ist also eine Frage der maximalen Leistungsfähigkeit eines Managers.

Und jetzt zu den Gürtelfarben, die sich nach Erfahrung und Expertise abgrenzen:

  • Der Schwarze Meistergürtel ist den Mitarbeitern vorbehalten, die als Experte Vollzeit mit der Verbesserung von Unternehmensabläufen beschäftigt sind. Sie wirken in der Regel als Coach, Trainer oder Ausbilder und sorgen so für die Verbreitung und Einhaltung des Erfahrungsschatzes im Unternehmen.
  • Der Schwarze Gürtel ist den Mitarbeitern vorbehalten, die als erfahrene Six Sigma-Mitarbeiter die Rolle eines Projektmanagers für Six Sigma-Verbesserungsprojekte auf Vollzeitbasis übernehmen. Der Träger des Schwarzen Gürtels muss pro Jahr mindestens 8 Verbesserungsprojekte begleiten, 4 davon erfolgreich abschließen und eine Einsparung von mindestens 200.000 € erreichen. Bei Nichterreichung wird auf den Gürtel zurückgestuft, dessen Leistung damit verbunden ist.
  • Der grüne Gürtel ist auch auf jeden Fall noch im Management angesiedelt. Bei dieser Rolle handelt es sich zumeist um Abteilungsleiter, Gruppenleiter, Planer oder Meister, die in Projektteams mitarbeiten oder sogar Teilprojekte leiten. Grüne Gürtel berichten an die Schwarzen Gürtel.
  • Daneben kann jedes Unternehmen je nach Bedarf unterhalb des Grünen Gürtel weitere Hierarchien einbauen, die dann nach den Gürtelfarben Weiß, Gelb und Blau gegliedert sind und jeweils selbst definierte Voraussetzungen haben.
Wie sollen die Six Sigma Rollen im Unternehmen verteilt sein?

Der Six Sigma Richtline zufolge soll in einem Unternehmen pro 100 Mitarbeiter ein Schwarzer Gürtel aktiv sein (das ist die 1%-Regel). Ein Schwarzer Meistergürtel soll bis zu 20 Schwarze Gürtel betreuen. Damit ist auch klar, in welche Richtung die Projektanzahl nach Unternehmensgröße geht und welche Mindesteinsparungen Six Sigma für jede Unternehmensgröße vorsieht. Und dann sind auch die Bezeichnungen nach japanischer Kampfkunst keine Überraschung mehr: die Erreichung der Ziele ist ein Kampf. Die Nichterreichung ein Versagen mit Konsequenz. Und das Ganze mit einer strengen Hierarchie. Wenn Du jetzt ins Zweifeln kommst, weil das mit der Agilität und dem Lean Management unvereinbar scheint, dann hast Du vollkommen Recht. Das ist einfach so. Du wirst diesem erfolgsorientierten Six Sigma-Denken in Großunternehmen auf jeden Fall begegnen und damit zurechtkommen müssen. Der Projektmanager oder Prozess-Owner wird Deine Arbeits- und Projektabläufe konstant unter die Lupe nehmen. Er ist immer im Konflikt der Kosten-Nutzen-Rechnung und seinen Six Sigma-Zielen verpflichtet. Mit dieser Grundlage bist Du in der Lage die Nöte der Projektmanager zu verstehen – und so besser zusammenzuarbeiten.

Abb.: Six Sigma Fehlerquote – *Quellenangabe: 27, 28
Wie werden Unternehmen für Six Sigma zertifiziert?

Und jetzt geht es noch einen Schritt weiter: das Unternehmen verdient sich pro Prozesskette je nach Fehlerquote einen Grad, der in 7 Leveln gemessen wird. Das erreichte Level wird von anerkannten Experten zertifiziert. Diese Zertifizierung ist heute bei der Lieferantenentscheidung eine häufig angefragte Voraussetzung bzw. ein bewerteter Vorteil und damit bares Geld wert.

Abb.: Six Sigma Fehlerkurve – *Quellenangabe: 27, 28

Und wenn Du Dich jetzt fragst, welches Level denn normal und welches sehr gut ist, dann bietet Dir vielleicht diese Verteilungskurve einen schönen Überblick. Alle Großunternehmen erreichen für ihre Prozessketten Level 0, da noch gar kein Six Sigma umgesetzt. 70% haben Six Sigma für Prozessketten implementiert und damit Level 1 so gut wie sicher. Level 2 erreichen nur etwa 25% der Six Sigma-Unternehmen. Level 3, nun ja, noch viel weniger. Die weiteren Level bleiben für fast alle Unternehmen nur Ziele. Die Werte in der Spalte DPMO geben übrigens die Fehler im Verhältnis zu 1 Mio. Einheiten an.

Was ist SPICE?

Wir haben die ganze Zeit den DMAIC-Kernprozess betrachtet. Wie schon einmal angedeutet, gibt es für den Bereich der Softwareentwicklung aber eine Anpassung namens SPICE, deren Umsetzung größtenteils DMAIC entspricht, dessen Level sich aber wie folgt aufbauen:

Abb.: SPICE-Levels – *Quellenangabe: 27, 28
Warum gibt es so viele Unternehmen, die Six Sigma praktizieren?

Wenn ich vorhin von barer Münze für das Erreichen eines Levels gesprochen habe, dann trifft das vor allem auf den Automotive SPICE Level zu. Wenn Du heute sicherheitskritische Software und Elektronik an Automobilhersteller liefern möchtest, dann musst Du einfach SPICE Level 5 zertifiziert sein – ansonsten hast Du keine Chance auf eine direkte und damit margenstarke Beauftragung. Das bedeutet, dass Du Six Sigma von vorn bis hinten sauber implementiert hast. Ähnlich verhält es sich natürlich im Bereich der Luftfahrt, ansatzweise auch in Teilbereichen der Medizintechnik.

Aber das ist nur ein Grund für die Einführung von Six Sigma. Weitere Gründe sind

  • die jährlichen Kosteneinsparungen,
  • die Reduktion der Prozessfehlerhäufigkeit und damit auch die Qualitätsverbesserung,
  • die Erhöhung der Kundenzufriedenheit
  • und das dauerhafte Wirken dieser Prozessmanagement-Methode.
Warum können Six Sigma Verbesserungsprojekte scheitern?

Die häufigste Ursache für das Scheitern von Six Sigma-Projekten ist übrigens die falsche Auswahl der Projekte, wenn z.B. das Verbesserungspotenzial zu gering, die Projektlaufzeit zu lang oder das Kosten-Nutzen-Verhältnis negativ ist.

Fassen wir nun zusammen, was wir in dieser Lektion behandelt haben:

  • wir haben die Entstehungsgeschichte von Six Sigma kennengelernt,
  • wie Projekte dimensioniert sein sollen,
  • wir haben uns ausführlich mit dem DMAIC-Kernprozess beschäftigt,
  • sind nur ganz oberflächig auf die vielen Werkzeuge zur Umsetzung eingegangen,
  • haben das interessante Rollensystem kennengelernt,
  • wissen nun, dass neben den Mitarbeitern auch Einzelprozesse zertifiziert werden,
  • wir haben SPICE als Abwandlung für die Softwareentwicklung kennengelernt,
  • wir haben erkannt, welche Vorteile uns der Einsatz von Six Sigma oder SPICE bringt,
  • und wissen nun auch, woran die meisten Six Sigma-Projekte scheitern.

Lass uns in der übernächsten Lektion noch einen kleinen Exkurs zu den Zertifizierungen behandeln, weil der Hintergrund von Zertifizierungen von vielen nur als lästig empfunden und damit der Hintergrund nicht erkannt wird.

Doch zuvor gibt es für Dich wieder eine kleine Überraschung: Die folgende Lektion beinhaltet ein kurzes Quiz, bei dem Du für Dich selbst prüfen kannst, welche Inhalte aus dieser Lektion bei Dir hängengeblieben sind. Ich wünsche Dir dabei viel Spaß, wir sehen uns in der übernächsten Lektion wieder!

*Quellenangaben: 27, 28, 29

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