Hi, herzlich willkommen in dieser Lektion, in der wir uns mit den Grundlagen von Kanban beschäftigen.
Welche Inhalte werden in der Lektion behandelt?
Wir sprechen in den nächsten Minuten über:
- die Definition eines weiteren Fachbegriffs, der für das Verständnis dieser Lektion wichtig ist,
- die Entstehungsgeschichte,
- die Grundidee von Taiichi Ohno,
- die Ziele von Kanban,
- das Kanban-Board,
- teamübergreifende Zusammenarbeit,
- das Pull-Prinzip,
- die Verbreitung von Kanban,
- damit einhergehend die Einsatzgebiete,
- Voraussetzungen zur Nutzung der Methode,
- Regeln, damit das Ganze funktioniert,
- die dadurch ausgelöste Motivation bei Mitarbeitern,
- und wichtige Erkenntnisse bei der Einbindung in Planungsorganisationen.
Vorab wieder die Begriffsdefinition für einen Fachbegriff in dieser Lektion:
Was ist Just-in-Time?
Just-in-Time oder auch gerne nur als JIT abgekürzt, beschreibt die Reduzierung oder sogar Auflösung von Lagerbeständen. Stattdessen werden benötigte Waren oder Leistungen je nach Skalierung nur noch gering vorgehalten, in höherer Frequenz mit geringeren Mengen oder sogar erst direkt bei Bedarf angeliefert.
Nun zum Thema – Kanban:
Seit wann gibt es Kanban?
Die agile Projektmethode Kanban ist, wie bereits in einer der vorherigen Lektionen angesprochen, ab dem Jahr 1947 bei Toyota entwickelt worden, um die Zusammenarbeit in der Fertigung effizienter zu gestalten.
Welche Idee hatte Taiichi Ohno für Kanban?
Die Grundidee von Taiichi Ohno war:
„Es müsste doch möglich sein, den Materialfluss in der Produktion nach dem Supermarkt-Prinzip zu organisieren, das heißt, ein Verbraucher entnimmt aus dem Regal eine Ware bestimmter Spezifikation und Menge; die Lücke wird bemerkt und wieder aufgefüllt“.
Welches Ziel hat Kanban?
Ziel der Methode ist heute vorrangig, dass die Anzahl paralleler Arbeitsvorgänge begrenzt wird, und damit kürzere Durchlaufzeiten erreicht werden. Probleme innerhalb der Projekt-Organisation wie z.B. Engpässe werden so sichtbar gemacht. Ursprünglich wurde mit Kanban sogar nur die Materialsteuerung optimiert, um Material-Überkapazitäten im Fertigungsprozess abzubauen und Materialengpässe im Fertigungsprozess zu reduzieren – in der Folge aber auf die gesamte Fertigungs- und Projektorganisation ausgedehnt.
Weitere Ziele waren und sind:
- die Reduzierung von Lagerbeständen
- damit einhergehend die Reduzierung der Kapitalbindung
- die Erhöhung der Flexibilität für geänderte Bedarfsmengen
- und dabei die Lieferbereitschaft nicht nur beizubehalten, sondern zu steigern
- die Ausschussquoten nicht nur zu halten, sondern zu reduzieren
- Nacharbeiten nicht nur zu halten, sondern zu reduzieren
- die Transportaufwände zu senken
und dabei auch noch den Planungsaufwand stark zu senken.
Was ist ein Kanban-Board?
Zentrales Arbeitsmittel bei Kanban ist das Kanban-Board, auf dem alle anstehenden, laufenden und erledigten Aufgaben abgebildet werden. Das Kanban-Board „muss“ jedem Team-Mitglied zugänglich sein und „sollte“ den Personen zugänglich sein, die ein Interesse am Arbeits- und Projektfortschritt haben.
In diesem Beispiel sehen wir zwecks besserer Übersichtlichkeit ein sehr abgespecktes Kanban-Board mit nur wenigen Aufgaben, die pro Kundenanforderung gruppiert sind.
Was sind Swimlanes?
Ein Kanban-Board enthält Spalten (Swim-Lanes genannt), die Phasen im Projektfortschritt für das ausgewählte Team beschreiben. In der Swim-Lane werden hier Aufgaben-Karten untereinander angeordnet, welche zur besseren Übersicht mindestens die Aufgabenbeschreibung, das Zieldatum und die mit der Aufgabe betrauten Personen enthalten. Diese Karten werden dann durch die definierten Projektfortschritte bis zum Ziel getragen – können aber auch wieder an den Start (links) zurückversetzt oder in einen Abbruch-Status (ganz rechts) verschoben werden. Damit ist auf einen Blick sichtbar, wenn sich in einer Projektphase zu viele Aufgaben angesammelt haben und deshalb aufgrund von begrenzten Ressourcen (z.B. benötigtem Fachpersonal) nicht mehr zügig Richtung Ziel bearbeitet werden können. Besonders auffällig sind diese Engpässe, wenn die Gruppierungsfunktion im Kanban-Board deaktiviert ist.
Können Aufgaben von einem Kanban-Board in ein anderes Kanban-Board übergeben werden?
Ein Kanban-Board muss nicht zwangsweise den kompletten Material- oder Arbeitsfluss abdecken. Eine Swim-Lane kann auch die Übergabe in ein anderes Team abbilden. Solange eine Aufgabe in dieser Swim-Lane liegt, wird die Aufgabe im anderen Team auf deren Kanban-Board durch deren Projektphasen getragen. Wenn die Aufgabe dort in der Swim-Lane „Fertig“ abgeschlossen ist, dann wird die Karte automatisch in der Rückgabe-Swim-Lane zur Weiterbearbeitung angezeigt. Auf diese Weise lässt sich die team- und abteilungsübergreifende Zusammenarbeit einfach und effizient abbilden.
Übergeordnete Rollen, die lediglich einen Einblick in den Gesamtprozess haben wollen, können sich ein eigenes Board mit selbst definierten Gesamtprojekt-Phasen erstellen und dort die Aufgaben der untergeordneten Boards gesammelt abbilden. Dafür werden mehrere Swim-Lanes aus einem oder mehreren Projektteams in einer Swim-Lane zusammengefasst. Die Führungskraft hat so immer eine gute Übersicht, welche Teams wie stark ausgelastet sind, wo Engpässe im Team und zwischen Teams entstehen, und welche ausgewählten Aufgaben gerade wo in Bearbeitung oder bereits erledigt sind.
Was ist ein Pull-Prinzip?
Kanban funktioniert nach dem Pull-Prinzip, bei dem sich Projektteam-Mitglieder eine Aufgabe abholen und dann eigenverantwortlich bis zum Ende des eigenen Zuständigkeitsbereichs durch die Projektphasen tragen. Im Gegensatz zum Wasserfall-Modell oder einer zentralen Produktionssteuerung wird das Projekt oder die Fertigung nicht mehr komplett vorausgeplant, sondern Bedarfe im Prozess selbst ermittelt und durch spontane und flexible Steuerung befriedigt. Erst diese Flexibilität ermöglicht es, auf Schwankungen und neue Bedarfe im Ablauf zu reagieren und damit den Projekt- und Fertigungsablauf zu beschleunigen. Und weil Zeit = Geld bedeutet, ist damit auch ein Kostenvorteil verbunden. In den 1970er Jahren haben dann Unternehmen in den USA und auch Deutschland die Methode von Toyota übernommen. Im Grunde ist Kanban der Vorläufer der Just-in-Time-Fertigung, bei der die Lagerhaltung nicht nur reduziert und flexibilisiert, sondern komplett auf den Lieferanten ausgelagert wird.
Wofür eignet sich Kanban?
Kanban eignet sich hervorragend für die Fertigung von komplexen und standardisierten Produkten mit großer Variantenvielfalt, notwendiger Flexibilität im Fertigungsprozess und langen Lieferantenketten. Dafür ist diese Methode weniger für Einzelprodukte oder Sonderaufträge geeignet.
Welche Voraussetzungen gibt es für Kanban?
Hitoshi Takeda, Lean-Vordenker und Schöpfer des synchronen Produktionssystems (auch SPS genannt) hat 1990 folgende Voraussetzungen für den „industriellen“ Einsatz von Kanban definiert:
- Das Produktionsprogramm muss getaktet und standardisiert sein
- Losgrößen müssen verkleinert werden, so dass die Just-in-Time-Abläufe greifen können
- Die letzte Produktionsstufe muss geglättet werden, so dass sich möglichst wenige Schwankungen in den vorgelagerten Stufen ergeben. Ganz generell ist hier zu erwähnen, dass Kanban von der letzten Fertigungsstufe aus gesteuert wird, und alle vorgelagerten Prozesse dieser in einer Art Baumstruktur zuarbeiten.
- Die Logistik muss verkürzt und vereinheitlicht werden, da sich mit Just-in-Time-Vorgängen der logistische Aufwand erhöht (sprich: höhere Transport-Frequenz mit geringerem Volumen, die dafür optimiert sein muss)
- Eine kontinuierliche Produktion soll die Auslastung der Fertigungsinfrastruktur optimieren und trotzdem Puffer für Nacharbeits- und Spezialaufträge zulassen. Nacharbeiten werden im Kanban-Board mit dem Zurücksetzen in eine der vorherigen Swim-Lanes veranschaulicht, Spezialaufträge sind Karten im Kanban-Board, die zusätzlich zu den Serienaufträgen eingeschoben werden und dabei nicht zwangsweise von der ersten Swim-Lane starten müssen. Der Puffer wird erreicht, indem die Kapazität nicht zu 100% von der Serienfertigung ausgenutzt wird.
- Da das Kanban-System mit Karten umgesetzt wird, ist für jeden Lagerort eine eindeutige Adresse oder Bezeichnung notwendig. Diese Adressen wiederum beschreiben eine Swim-Lane im Kanban-Board eines Steuerungsteams (z.B. in der Fertigungssteuerung) und damit auch einen Fertigungsfortschritt.
- Ein konsequentes Behältermanagement soll die Waren schützen und gleichzeitig schnell Aufschluss über die enthaltene Menge und die Art der Ware geben (sprich: Farbvergabe und angepasste Behältergrößen)
Für die Nutzung von Kanban im Projektmanagement und in der Softwareentwicklung sind diese „industriellen Voraussetzungen“ zwar nicht 1:1 anwendbar, geben aber schon einen Hinweis darauf, dass auch bei Projekten und in der Softwareentwicklung Abläufe standardisiert, transparent gestaltet, an die Organisationsform angepasst und eindeutig geregelt werden sollen.
Welche Regeln gibt es für Kanban?
Damit Kanban funktioniert und sein volles Potenzial ausschöpfen kann, gibt es folgende „Regeln“:
- Der Verarbeiter darf nur so viel Material oder Arbeit anfordern wie benötigt
- Der Verarbeiter darf nicht vorzeitig Material oder Arbeit auf Vorrat anfordern
- Die Bezugsquelle darf nicht auf Vorrat produzieren oder arbeiten, sondern muss die Arbeit sofort nach Abschluss zur Verfügung stellen
- Die Bezugsquelle ist für eine einwandfreie Qualität ihrer Arbeitsergebnisse verantwortlich und hat geeignete Maßnahmen zur Sicherstellung der Qualität zu ergreifen
- Es gibt einen Kanban-Koordinator, der die optimale Auslastung aller Fertigungs- und Arbeitsstufen sicherstellt
- Der Kanban-Koordinator stellt sicher, dass eine möglichst niedrige Anzahl an Kanban-Karten im Umlauf ist und im Optimalfall keine Kanban-Karten ohne aktuelle Bearbeitung existieren
- Damit diese Regeln im Realbetrieb eingehalten werden können, sind alle Kanban-Teammitglieder zu schulen und für ihre Rollen zu qualifizieren
Für die Nutzung von Kanban im Projektmanagement und in der Softwareentwicklung sind diese „Regeln“ im Gegensatz zu den industriellen Voraussetzungen 1:1 anwendbar und für die optimale Ausnutzung des Kanban-Potenzials unabdingbar.
Wie motiviert Kanban?
Für die Motivation von Mitarbeitern war Kanban ebenfalls ein großer Fortschritt, weil im Zuge der Flexibilisierung mehr Verantwortung auf jeden einzelnen Mitarbeiter übertragen wird. Die neue Rolle in Regelkreisen und die damit einhergehenden Qualifizierungsmaßnahmen haben den Stellenwert jedes einzelnen Mitarbeiters gesteigert.
Funktioniert Kanban als Insel?
Eine ganz wichtige Erkenntnis ist, dass Kanban nur funktionieren kann, wenn auch alle vorgelagerten und begleitenden Prozesse nach dem Kanban-Prinzip und damit agil arbeiten. Nur dann kann der Anstoß von flexiblen Bedarfen von ebenso agil arbeitenden Lieferketten bedient werden. Arbeiten die vorgelagerten Lieferketten und begleitenden Prozesse mit starrer Planung, dann ist die Unterbrechung des Material-, Arbeits- und Informationsflusses unausweichlich. Genauso verhält es sich auch in Kanban-Projekten.
Was passiert, wenn Kanban als Insel eingeführt wird?
Um es ganz deutlich zu sagen: wenn im Extremfall nur ein Team im Unternehmen agil mit der Kanban-Methode arbeitet, die vorgelagerten, begleitenden und nachgelagerten Teams aber nicht, dann kann diese Organisationsform nicht erfolgreich verlaufen, sondern wird zum sprichwörtlichen Rohrkrepierer. Die Strategie: „dann fangen wir mal in einem Teilbereich an“ funktioniert nicht. Solange auch nur ein Team sich der Zusammenarbeit verweigert und nicht agil in die Kanban-Boards hineinarbeitet, wird es immer ein Störfaktor für die agile Arbeitsweise im Gesamtunternehmen sein, das angrenzende und nachgelagerte Teams ausbremst. Wenn Kanban, dann überall. Wenn agil, dann überall. Schnittstellen zwischen agiler und geplanter Organisation führen von Anfang an zu Liefer- und Informationsblockaden und bringen jede agile Organisationsform zum Stillstand.
Wie kann Kanban in einer Mischumgebung praktiziert werden?
Die einzige Möglichkeit eine Mischform zwischen Teams und Abteilungen mehr schlecht als recht am Leben zu erhalten und dabei auch noch ein Arbeitsergebnis zu erhalten ist, wenn
- eine Planungs- und Reporting-Organisation für agile Einheiten auf die Einhaltung von Planungen verzichtet,
- die Kanban-Boards als einziges Reporting-Instrument für agile Einheiten akzeptiert werden,
- eine Planungs- und Reporting-Organisation sofort, ohne Zeitversatz und Diskussion über die Sinnhaftigkeit, Entscheidungen trifft und Arbeitsgrundlagen auf Zuruf zur Verfügung stellt – und damit jegliche agile Anforderung priorisiert bedient.
Und das ist dann doch mehr Wunschdenken als erfüllbare Realität …
Damit möchte ich jetzt auch mit den Grundlagen zu Kanban abschließen. Ich hoffe, dass Du in dieser Lektion die grundlegende Idee hinter Kanban verstanden hast, so dass wir die in den Lektionen nach den Grundlagen verwenden und ausbauen können.
Fassen wir nun zusammen, was wir in dieser Lektion behandelt haben:
- wir haben einen neuen Fachbegriff kennengelernt,
- ebenso, wo und wie Kanban entstanden ist,
- wir haben die Grundidee von Taiichi Ohno kennengelernt,
- wir kennen nun die Ziele von Kanban,
- wissen wie das Kanban-Board aussieht und wie es grundsätzlich funktioniert,
- dass es sich auch hervorragend für die teamübergreifende Zusammenarbeit eignet,
- wir haben über das Pull-Prinzip im Vergleich zum Push-Prinzip gesprochen,
- haben die Verbreitung und die damit einhergehenden Einsatzgebiete von Kanban betrachtet,
- wir wissen nun, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit diese Organisationsform funktioniert,
- genauso, welche Regeln dieses Funktionieren absichern,
- wir haben erkannt, welchen positiven Effekt Kanban auf die Motivation der Mitarbeiter hat,
- aber ebenso die Augen nicht vor den großen Herausforderungen bei der Implementierung in Planungsorganisationen verschlossen, sondern offen auf den Punkt gebracht.
In der übernächsten Lektion behandeln wir mit Scrum eine weitere agile Methode. Doch zuvor gibt es für Dich wieder eine kleine Überraschung: Die folgende Lektion beinhaltet ein kurzes Quiz, bei dem Du für Dich selbst prüfen kannst, welche Inhalte aus dieser Lektion bei Dir hängengeblieben sind. Ich wünsche Dir dabei viel Spaß, wir sehen uns in der übernächsten Lektion wieder!