Hi, herzlich willkommen in dieser Lektion, in der wir uns mit der Kritik beschäftigen, dass das Funktionieren von Agilität von den Rahmenbedingungen abhängig wäre.
Welche Inhalte werden in dieser Lektion behandelt?
Wir sprechen in den nächsten Minuten über 2 Argumente:
- Dass Agilität nur in einer libertären Gesellschaft wie in den USA möglich wäre, und
- dass Agilität, wenn überhaupt, doch nur in der Softwareentwicklung anwendbar wäre.
Kritik ist immer gut, weil sie zum Nachdenken anregt und so Innovation erst ermöglicht.
Zuerst einmal zu den Argumenten:
Argument Nr. 1
Ist Agilität in unserer Gesellschaft umsetzbar?
Die Big 5 – weltweite Vorbilder der Agilität – befinden sich allesamt in den USA, ein Land mit vergleichsweise libertärer Einstellung in der Gesellschaft und geringen staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft.
Ja, es gibt unterschiedliche Rahmenbedingungen.
So können in Ländern mit weniger restriktiven Arbeitnehmer-Schutzvorschriften Projektteam-Mitglieder schneller und einfacher ein- und ausgeschleift werden – ganz nach Bedarf. Diese Flexibilität ist in der Gesellschaft vorhanden, auch weil der Arbeits- und Projektmarkt sehr flexibel ist. Einer kurzfristigen Freistellung steht in der Regel auch eine kurzfristige Neubeschäftigung gegenüber. Derartige Länder weisen auch einen viel höheren Anteil selbständiger Mitarbeiter (z.B. Freelancer) auf, als Länder mit höherem Arbeitnehmerschutz. Google z.B. hat etwa genauso viele festangestellte Mitarbeiter wie Leiharbeiter und Freelancer.
Eine höhere Selbständigkeit und Selbstbestimmtheit innerhalb der Erwerbsbevölkerung führen auch zu einer größeren Unabhängigkeit gegenüber Arbeitgebern oder Auftraggebern. Projektteam-Mitglieder treten dort selbstbewusster auf, verfügen über etwas mehr unternehmerisches Denken, weil sie als Freelancer selbst alle kleine Unternehmer sind. Die Arbeitsplatz- und Auftragssicherung spielen zwar eine Rolle, aber nicht so sehr, wie in Ländern, in denen Mitarbeiter im Leben nur bei sehr wenigen Arbeitgebern arbeiten.
Das wirkt sich natürlich auf die Arbeitsweise und damit auch auf Projekte aus.
Aber, dafür hat die Wirtschaft in Ländern mit höherem Arbeitnehmerschutz Lösungen entwickelt. In diesen Ländern mit geringerer Flexibilität für unternehmerische Interessen, sorgen Dienstleister dafür, dass benötigtes Wissen flexibel geordert und auch wieder freigesetzt werden kann.
Argument Nr. 2
Ist Agilität nur in der Softwareentwicklung umsetzbar?
Agilität kommt aus der Softwareentwicklung und ist außerhalb der Softwareentwicklung nur schwer umsetzbar. Aus diesem Grund sollen agile Organisationsmodelle, wenn überhaupt, auf die IT-Abteilungen beschränkt bleiben.
Ja, Agilität und die meisten agilen Methoden stammen aus dem Umfeld der Softwareentwicklung.
Agilität hat sich in diesem Bereich hauptsächlich deshalb durchgesetzt, weil Softwarelösungen hochgradig komplex, die Lösungsansätze selten vorhersehbar und damit auch nicht planbar sind.
Aber Toyota hat bereits 1947 mit der Kanban-Methode eine agile Lösung für die Fertigung in Industrieunternehmen entwickelt und das Unternehmen durch den damit erreichten Effizienz- und Qualitätsvorsprung zum Vorbild in der Automobilindustrie gemacht. Seitdem orientieren sich immer mehr Industrieunternehmen an dieser Methode und weiten die Prinzipien auch auf andere Unternehmensbereiche wie z.B. die Entwicklung aus.
Ich persönlich halte agile Inseln in Unternehmen für problematisch und werde im Verlauf dieses Kurses auch noch genauer darauf eingehen.
Dazu kommt, dass Agilität immer mehr in der Produktentwicklung und den Konstruktionsabteilungen eingeführt wird, gerade weil hier der zeitliche Verzug zu den aktuellen Kundenbedürfnissen entsteht – zu lange Entwicklungszyklen den Marktbedarf verschlafen und gegenüber agilem Wettbewerb damit keine echten Innovationen mehr zulassen. Wenn also die Produktentwicklung und die Fertigung bereits agil arbeiten, dann bleiben nur noch die Administration und die Logistik, um ein Unternehmen komplett agil aufzustellen, Agilität als Bestandteil einer Unternehmenskultur zu etablieren.
Fazit ist: trotz unterschiedlicher und hemmender Rahmenbedingungen funktioniert Agilität grundsätzlich überall. Viel wichtiger als staatliche Rahmenbedingungen und die Einführung in bestimmte Unternehmensbereiche ist da schon, ob die Unternehmensleitung dazu bereit ist, Agilität selbst zu leben, zu verinnerlichen und diesen Bestandteil der Unternehmensphilosophie dementsprechend im Unternehmen durchzusetzen. Auch die global unterschiedlichen Mentalitäten haben großen Einfluss auf das Gelingen von Agilität.
Wie sieht die Alternative zur Agilen Transformation aus?
Und mal ganz unter uns: was wäre denn die Alternative dazu?
Die Alternative wäre den Status Quo beizubehalten. Gut für alle, denen es gut geht. Nicht so gut für alle, die mit einem Wettbewerb zu kämpfen haben, der sich Agilität zum Vorteil gemacht hat.
Die Entscheidung ob ja oder nein trifft jeder selbst.
Fassen wir nun zusammen, was wir in dieser Lektion behandelt haben:
- wir haben erkannt, dass Agilität grundsätzlich überall funktioniert und damit unabhängig von der Gesellschaftsform ist,
- und wir haben erfahren, dass Agilität bereits vor dem Zeitalter der Softwareentwicklung in der Fertigung praktiziert wurde.
In der nächsten Lektion gehe ich auf den Umstand ein, dass es selbst innerhalb der Softwareentwicklung grundsätzliche Unterschiede bei den Organisationsanforderungen gibt.
Weitere kleine Exkurse, wie diesen hier, werde ich übrigens auch mit Rückmeldungen und Diskussionen aus dem Kursteilnehmer-Umfeld erweitern. Also, bis gleich.