Hi, herzlich willkommen in dieser Lektion, in der wir uns die Grundlagen von Agilem Projektmanagement anschauen.

Welcher Inhalt ist in dieser Lektion enthalten?

Wir sprechen in den nächsten Minuten über

  • die Definition eines Fachbegriffs, der für das Verständnis dieser Lektion wichtig ist,
  • die Unterschiede zwischen Wasserfall und Agilität,
  • darüber, was Agilität in der Realität ausmacht,
  • wir schauen uns ein paar Beispiele für agile Unternehmen und ihre Rolle in der Wirtschaft an,
  • und vergleichen die dann mit der konventionellen Wirtschaft,
  • wir sprechen über Iterationen als Gegenstück zur Planungsorganisation,
  • die notwendige Mentalität in der Agilität,
  • wir vergleichen eine agile Organisation mit einer Planungsorganisation,
  • wir schauen uns auch gemeinsam das Agile Manifest an,
  • und die 12 Prinzipien der Agilität.
  • Wir kommen auch nicht darum herum, uns die Realität der ersten agilen Schritte innerhalb von Planungsorganisationen anzuschauen,
  • wir lernen gemeinsam die Ziele der Agilität kennen,
  • und die damit verbundenen Vorteile,
  • aber auch die dafür notwendigen Voraussetzungen, die erst einmal geschaffen werden müssen.

So, vorab wieder die Definition für einen Fachbegriff in dieser Lektion:

Was ist disruptiv?

Disruptiv ist ein Prozess dann, wenn ein bestehendes Geschäftsmodell oder ein gesamter Markt durch eine stark wachsende Innovation abgelöst bzw. zerschlagen wird. Historische und aktuelle Beispiele dafür sind

  • die Ablösung des Segelschiffs erst durch das Dampfschiff und dann durch die heute gebräuchlichen Schiffe
  • die Ablösung der Personenschifffahrt durch den Luftverkehr
  • die Ablösung des Pferds erst durch die Eisenbahn und dann das Automobil
  • die Ablösung der Schallplatte erst durch die CD, dann MP3 und letztendlich Musik-Streaming
  • die Ablösung von Video-Kassetten erst durch MP4 und letztendlich ebenso durch Streaming-Angebote
  • die Ablösung der Schreibmaschine erst durch Desktop-Rechner, dann durch Laptops und Tablets
  • die Ablösung von Briefen durch eMails
  • aber auch die Ablösung von Bäckern, Metzgern und anderen Innungshandwerken durch Discounter und andere Filialketten
  • die Ablösung von Zeitungen und Zeitschriften durch Online-Angebote
  • damit einhergehend die Ablösung von Printwerbung durch Online-Werbung und als Folge auch die fortschreitende Auflösung der Druckereibranche
  • die Ablösung von Fotoapparaten durch Smartphones (nebenbei bemerkt: das Smartphone hat eine ganze Latte von vorherigen Geräten und Diensten abgelöst)
  • die Ablösung von Verbrennungsmotoren durch Elektromotoren
  • AirBnB knabbert am Hotelmarkt
  • Uber knabbert am Taxi-Markt
  • und Tesla knabbert sich schnell Mal einen nennenswerten Anteil des Automobilmarkts weg
  • der 3D-Druck knabbert am Spritzgussmarkt und der Metallbearbeitung
  • der Online-Handel knabbert am stationären Handel
  • und Online-Portale ersetzen Makler

Ach, die Liste ist noch um viele Positionen erweiterbar – und neue Ideen auf Basis neuer Technologien öffnen immer mehr Türen.

Nun zum Inhalt dieser Lektion:

Abb.: Iteratives Arbeiten bei agiler Projekt-Organisation

Und damit kommen wir auch zum Konterpart des Wasserfall-Modells und der Meilenstein-Trendanalyse. Agiles Projekt-Management. Worin unterscheiden sich nun Agilität und Wasserfall?

Wie unterscheiden sich Wasserfall und Agilität?

Während die Wasserfallmethode erst das gesamte Projekt plant und dann umsetzt, plant die Agilität in klitzekleinen Schleifen, die Iterationen genannt werden. Dadurch ist in der Agilität keine Gesamtplanung als Basis für einen Soll-Ist-Vergleich verfügbar. Die Budgetierung und Zeitplanung für festgelegte Projektfortschritte sind damit nur ansatzweise möglich. Die Grundlage für die Planung der nächsten Schleife ergibt sich erst nach Abschluss einer vorherigen Schleife. Dafür können in diesen Schleifchen immer wieder neue Anforderungen eingebracht und bestehende Anforderungen geändert werden – und nach jeder Schleife gibt es ein nutzbares und bewertbares Teilergebnis. Genau das macht die Agilität so reizvoll.

Im Anhang an diese Lektion findest Du übrigens ein PDF im A3-Format mit dieser Iterationen-Grafik. Ich habe das A3-Format extra so und nicht größer ausgewählt, dass es mit gängigen Bürodruckern ausgedruckt werden kann. Du kannst Dir das gerne ausdrucken und in Deinem Projektraum zur Veranschaulichung von Erklärungen an die Wand hängen.

Ich bin mir aufgrund der Handlungsweise des Großteils der Unternehmenslenker mehr als sicher, dass ausgerechnet diejenigen, die sich seit Kurzem mehr und mehr der Agilität verpflichtet sehen, überhaupt nicht verstehen, was Agilität bedeutet. Selbst in der IT ist das Wissen um Agilität sehr oberflächig. Alle wollen es sein, doch kaum einer ist es in der Praxis. Und Agilität bedeutet beileibe nicht Chaos, wie es einige Chaoten freudestrahlend gerne verstehen möchten.

Warum ist die Agilität so interessant?

Bei der Geschäftsleitung ist klar, warum Agilität so reizend und anziehend ist: Sie sehen seit Jahren, wie junge und aufstrebende Unternehmen in wahnwitzigem Tempo zu Weltmarkt-Führern aufgestiegen sind und dabei nach und nach die Domänen der „Old Economy“ erobern. Sie erwirtschaften mit neuen Ideen und hoher Reaktionsgeschwindigkeit fantastische Umsatzrenditen und generieren dadurch Cash, mit dem Sie im Handumdrehen Weltmarktführer aufkaufen. In typischen Consumer- und Business-Produkten wächst der Elektronik- und Software-Anteil kontinuierlich an. Disruptive Geschäftsmodelle machen einstige Investitionsgüter zu reinen Hilfsmitteln, auf deren Basis Dienste verkauft werden, die diese extrem hohen Margen ermöglichen – während die „Old Economy“ mit ihren Produkten aufgrund des ungleichen Preiskampfs mit diesem neuen Wettbewerb keine Marge mehr erwirtschaften kann.

„Ja, wir sind jetzt auch agil“.

Was ist Agilität?

Aber mit einem Spruch wie diesem ist es nicht getan. Agilität ist eine Mentalität, Einstellungssache, Kultur (auf Englisch: Mindset) – von ganz oben im Unternehmen bis ganz nach unten und wieder zurück. Und die Mentalität eines Unternehmens änderst Du nicht einfach so. Gerade die Leithammel in allen Unternehmensebenen tun sich beim Verändern sehr schwer. Schauen wir uns doch einmal exemplarisch an, welche Unternehmen durch agile Unternehmensstrukturen für die „Old Economy“ so gefährlich wurden und den aktuellen Umbruch maßgeblich treiben. Du kannst das Video gerne anhalten und den Inhalt bei Interesse vertiefen. Bei Bedarf schlage ich Dir vor, Dich parallel einmal mit den Geschäftsmodellen der genannten Unternehmen zu beschäftigen. Für das Management großer Unternehmen sind genau diese Unternehmen ein Vorbild für Organisation und Strategie:

Was sind die Big 5?

Google

Abb.: Unternehmensstruktur von Alphabet als Dachgesellschaft von Google
Wann wurde Google gegründet?

Google wurde 1995 gegründet

Wie hoch ist der Umsatz von Google?

Google hat 2019 161,9 Mrd. USD erwirtschaftet

Wie hoch ist der Jahresgewinn von Google?

Google hat 2019 einen Jahresgewinn von 34,3 Mrd. USD erzielt. Mit nur einem Jahresgewinn könnte Google den größten Autohersteller der Welt, nämlich VW kaufen, oder 2x die Deutsche Bank, oder 5x die Lufthansa – ist schon Irrsinn, oder?

Wie hoch ist die Umsatzrendite von Google?

Die Umsatzrendite von Google liegt für das Jahr 2019 bei 21,2%

Wie viele Mitarbeiter hat Google?

Google hatte Ende 2019 118.899 Festangestellte sowie 121.000 Werk- und Zeitverträge

Wie hoch ist die Marktkapitalisierung von Google?

Die Marktkapitalisierung von Google beträgt im Jahr 2019 etwa 766,4 Mrd. USD

Wieviel ist Google wert?

Der Marktwert von Google beträgt im Jahr 2019 etwa 863,2 Mrd. USD

Wo liegt Google im Ranking der weltweit größten Unternehmen?

Im Jahr 2000 lag Google auf Platz 17 der Forbes Global 2.000

Wie viele Unternehmen hat Google übernommen?

Stand 10/2019 hat Google 236 Unternehmen übernommen

Welche waren die größten Übernahmen von Google?
  • Motorola: 12,5 Mrd. USD (Mobilfunk-Hardware)
  • Nest: 3,2 Mrd. USD (Smart Home)
  • DoubleClick 3,1 Mrd. USD (Online Marketing)
  • Looker: 2,6 Mrd. USD (Data Analytics & Business Intelligence)
  • Youtube: 1 ,7 Mrd. USD (Video Streaming)
  • Waze: 1,15 Mrd. USD (Navigation)
  • HTC: 1,1 Mrd. USD (Mobilfunk-Hardware)
  • Admob: 750 Mio. USD (Online Marketing)
  • ITA Software: 700 Mio. USD (Software)
  • Deepmind: 650 Mio. USD (Künstliche Intelligenz)
  • Apigee: 625 Mio. USD (Software)
  • Postini: 625 Mio. USD (Online Marketing)
Wo investiert Google seine Gewinne?

Und dann schauen wir uns einmal an, wo Google seine Gewinne investiert:

Wir sehen hier die verbundenen Unternehmen aus der Alphabet-Holding-Struktur:

  • Access & Energy (u.a. Google Fiber) – Branche: Netzwerke
  • Calico – Branche: Biotechnologie, Gentechnik
  • DeepMind – Branche: Anwendung künstlicher Intelligenz
  • CapitalG (zuvor Google Capital) – Branche: Investments mit 44 Unternehmensbeteiligungen
  • Google – Branche: klassisches Google-Geschäft (hier kommt ein Großteil der Gewinne her)
  • Jigsaw – Branche: Technologie-Inkubator
  • Loon – Branche: Internetzugänge
  • Sidewalk – Branche: Verkehrsmanagement, Werbemittel
  • Verily Life Science – Branche: Biowissenschaften
  • GV (Google Ventures) – Branche: Wagniskapital-Finanzierung
  • Waymo – Branche: selbstfahrende Autos (die heute den höchsten Grad von autonomem Fahren ermöglichen, aber im Gegensatz zu Tesla noch nicht marktreif sind. Aber wenn sie wollten, könnten sie der Familie Porsche ja einfach VW abkaufen, oder BMW, oder Daimler, oder Toyota. Am Geld sollte das nicht scheitern.)
  • Wing – Branche: Entwicklung und Betrieb von Lieferdrohnen
  • X – Branche: Forschung (z.B. Google Glass)

Apple

Oder Apple. Ein anderes agiles Unternehmen. Wo investieren die ihre Gewinne?

Welche Marktkapitalisierung hat Apple?

Die Marktkapitalisierung von Apple liegt 2019 bei 1 Billion USD (mehr als Google)

Wie viele Unternehmen hat Apple übernommen?

Apple hat Stand 2019 109 Unternehmen übernommen

Welche waren die größten Übernahmen von Apple?
  • Beats: 3 Mrd. USD (Audio SW, Streaming, Kopfhörer)
  • Dialog Semiconductor: 600 Mio. USD (Halbleiter)
  • Anobit: 500 Mio. USD (Halbleiter)
  • Shazam: 400 Mio. USD (Musik-Erkennung)
  • Next: 400 Mio. USD (Software-Entwicklung & Computer Hardware)
  • Primesense: 360 Mio. USD (Objekterkennung)
  • Authentec: 356 Mio. USD (Biometrie)
  • PA Semi: 278 Mio. USD (Halbleiter)
  • Quattro Wireless: 275 Mio. USD (Online Marketing)
  • C3 Technologies: 273 Mio. USD (Navigation)
  • Siri: 250 Mio. USD (Sprach-Assistent)
  • Turi: 200 Mio. USD (Künstliche Intelligenz)
  • Topsy Labs: 200 Mio. USD (Netzwerk Analyse)
  • Lattice Data: 200 Mio. USD (Künstliche Intelligenz)

Facebook

Welche Marktkapitalisierung hat Facebook?

Facebook hat Stand 2019 eine Marktkapitalisierung von 499 Mrd. USD

Wie viele Unternehmen hat Facebook übernommen?

Facebook hat Stand 2019 79 Unternehmen übernommen

Welche waren die größten Übernahmen von Facebook?
  • WhatsApp: 22 Mrd. USD (Kommunikation)
  • Oculus: 2 Mrd. USD (VR-Hardware und -Software)
  • Instagram: 1 Mrd. USD (Kommunikation)
  • LiveRail: 500 Mio. USD (Online Marketing)
  • Onavo: 200 Mio. USD (Netzwerk Analyse)

Amazon

Welche Marktkapitalisierung hat Amazon?

Amazon hat Stand 2019 eine Marktkapitalisierung von 851 Mrd. USD

Wie viele Unternehmen hat Amazon übernommen?

Amazon hat Stand 2019 85 Unternehmen übernommen

Welche waren die größten Übernahmen von Amazon?
  • Whole Foods: 13,7 Mrd. USD (internationale Supermarkt-Kette)
  • Pill Pack: 1,2 Mrd. USD (Online-Apotheke)
  • Zappos.com: 1,2 Mrd. USD (Online-Bekleidungs-Händler)
  • Ring: 1 Mrd. USD (Smart Home)
  • Twitch: 970 Mio. USD (Video-Spiele-Plattform)
  • Souq.com: 580 Mio. USD (Online-Plattform)
  • Kiva Systems: 775 Mio. USD (Robotik)
  • Audible: 500 Mio. USD (Online-Bücher)
  • Quidsi: 500 Mio. USD (Online-Plattform)
  • Annapurna Labs: 370 Mio. USD (Data Center Software)
  • Love Film: 312 Mio. USD (Filmgesellschaft)
  • AWS Elemental: 296 Mio. USD (Data Center Software)

Microsoft

Welche Marktkapitalisierung hat Microsoft?

Microsoft hat Stand 2019 eine Marktkapitalisierung von 1 Billion USD

Wie viele Unternehmen hat Microsoft übernommen?

Amazon hat Stand 2019 225 Unternehmen übernommen

Welche waren die größten Übernahmen von Microsoft?
  • Linked-In: 26,2 Mrd. USD (Karriere-Netzwerk)
  • Skype: 8,5 Mrd. USD (Kommunikation)
  • GitHub: 7,5 Mrd. USD (SW-Entwicklungsplattform)
  • Nokia: 7,2 Mrd. USD (Mobilfunk-Hardware)
  • aQuantive: 6,3 Mrd. USD (Online Marketing)

Das sind die sogenannten Big 5, alle nur aus den USA. China steht dem aber kaum nach. Mit Alibaba, Tencent, Huawei sowie eine Menge anderer großer, aber der Öffentlichkeit bei uns unbekannter Unternehmen aus dem asiatischen Raum, verfolgen auch andere Unternehmen die Strategie der Big 5. Darunter befinden sich auch Unternehmen wie Uber, AirBnB, Tesla, Netflix und einige andere mehr. Agil organisiert reagieren sie flexibel auf jegliche Schutzbemühungen der „Old Economy“.

Wie sehen deutsche Unternehmen im Vergleich zu den Big 5 aus?

Die Big 5 verfügen über eine

  • Marktkapitalisierung von 4,4 Billionen USD und ein
  • Nettobarvermögen in Höhe von 365 Mrd. USD (Stand: 05.02.2018)

Diese 5 Unternehmen könnten aus dem Stand alle Automobilhersteller weltweit aufkaufen – und bar, ohne Fremdfinanzierung bezahlen. Mit nur einem Viertel des Barvermögens könnten die 5 weltweit alle Flugzeughersteller aufkaufen. Das ist krass!

Zum Vergleich:

Die Marktkapitalisierung ausgewählter DAX-Unternehmen Stand 23.09.2019:

  • Lufthansa: 6,6 Mrd. Euro
  • Deutsche Bank: 15,1 Mrd. Euro
  • Volkswagen: 32,9 Mrd. Euro (der größte Autohersteller der Welt!)
  • Siemens: 83,3 Mrd. Euro (der größte Industriekonzern der Welt, der sich aber stetig zum Softwarehersteller entwickelt und gerade deshalb so hoch bewertet ist. Der einstige große Widersacher General Electric kommt inzwischen nur noch auf eine Marktkapitalisierung von 50 Mrd. USD)
  • SAP: 134,9 Mrd. Euro (einziger Lichtblick in Deutschland mit Weltniveau, Marktführerschaft und Zukunft – und ansatzweise auch mit agiler Organisation)
    • Die Umsatzrendite liegt bei 30%
    • Der Nettogewinn beträgt 3-4 Mrd. Euro pro Jahr
    • SAP ist Weltmarktführer für ERP-Software mit einem Anteil von 23%
      • Oracle 16%
      • Infor 16%
      • Microsoft Dynamics 9%
Was unterscheidet die Big 5 von deutschen Großunternehmen?

Die Gemeinsamkeit der Big 5 ist, dass sie nicht in ihrem Ursprungsgeschäft geblieben sind, sondern sich mit einer Vielzahl von Tochtergesellschaften mit dem organisatorischen Vorteil in andere Branchen hineinbewegt und die Wertschöpfung vertieft haben. Diese Gesellschaften probieren dann mit starker finanzieller Unterstützung aus und schauen sich das Ergebnis an: ist das Ergebnis gut, dann wird weiter gemacht. Ist es nicht gut, dann wird überlegt, ob ein anderer Ansatz zu einem guten Ergebnis führt. Ist kein anderer Ansatz mit Erfolgsaussicht verfügbar, dann wird das Projekt eingestellt.

Mit diesen wenigen Worten habe ich den Kern der Agilität bereits beschrieben. Es sind die immerwährenden 3 Fragen, die sich ein agiles Projektmitglied bei jeder einzelnen Aktion und Aufgabe (Iteration genannt) immer und immer wieder stellt. Und immer und immer wieder ehrlich beantwortet und danach verantwortungsvoll, kühl und logisch die richtige Konsequenz zieht.

Im Anhang an diese Lektion findest Du ein PDF im A3-Format mit den 3 Fragen der Agilität. Du kannst Dir das gerne ausdrucken und in Deinem Projektraum als ständige Erinnerung für das Team an die Wand hängen.

Wie gehen agile Unternehmen mit Risiko um?

Unternehmen wie Google bzw. Alphabet kommen gut damit klar, dass 85% des eingesetzten Risikokapitals in solche Projekte und Tochtergesellschaften scheitern – vorausgesetzt, das Scheitern wird schnell erkannt und führt dann zur Konsequenz, kein weiteres Kapital unnötig zu verbrennen. Die verbleibenden 15% haben in den letzten 10 Jahren die Gesamt-Investitionen in alle Test-Ballons um ein Vielfaches vermehrt. Das ist die erfolgreiche Unternehmensstrategie von Google, aber auch der anderen Big 5-Unternehmen. Sie sind schnell, mutig, ideenreich, disruptiv, margenstark, transparent sowie flach und flexibel organisiert. Und das wollen bzw. müssen die Vorstände und Aufsichtsräte unserer Großunternehmen auch mehr und mehr erreichen. Sie wollen kein Haifutter mehr sein, sondern selbst wieder an die Spitze der Nahrungskette gelangen. Wieder dahin zurückkommen, wo sie bis vor 10 Jahren noch waren.

Abb.: Iteratives Arbeiten bei agiler Projekt-Organisation
Wie unterscheiden sich agile Unternehmen von Planungsorganisationen?

Agilität ist der Gegenentwurf zur Planung. Agilität hat andere Ziele, aber auch andere Anforderungen. Während Anleger, Banken und klassische Geschäftsleitungen immerfort den Soll-/Ist-Vergleich suchen und fordern, stehen bei agilen Unternehmen stringente Budget- und Ressourcenschonung genauso im Vordergrund, wie schnelle Anpassungsfähigkeit, schnelle Ergebnisse, ein schnelles Time-to-Market und eine hohe Forschungs- und Entwicklungsquote. Was der Soll-/Ist-Vergleich für die klassische Unternehmensführung ist, ist die iterative Fragestellung der Agilität, ob das Ergebnis nach einer Iteration erreicht ist, wie es in einer Folgeiteration erreicht werden kann oder ob es unerreichbar ist – und zwar mit dem Ergebnis jeder Iteration als Grundlage für die Folgeiteration, in jedem Moment, in jedem Bereich, in jeder Hierarchiestufe, bei jeder Tätigkeit. Damit hat eine neue Iteration „keine planbare Grundlage“, sie ergibt sich kurzfristig aus der vorherigen Iteration. Das offene Eingestehen der Unerreichbarkeit ist dabei für die Agilität übrigens kein Makel, sondern Grundlage zur optimalen Verwendung von Budget und Ressourcen – auf Deutsch: die konsequente Vermeidung von Mittelverschwendung. Agilität ist heute Voraussetzung für technologischen Vorsprung, der wiederum hohe Margen ermöglicht und dadurch erneut Liquidität für den Ausbau des Vorsprungs erzeugt.

Wie lauten die agilen Leitsätze aus dem Agilen Manifest?

Die agilen Leitsätze wurden 2001 formuliert und im „Agilen Manifest“ festgehalten. Ich möchte gar nicht viel dazu sagen, bitte einfach wirken lassen:

„Wir erschließen bessere Wege, Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen. Durch diese Tätigkeit haben wir folgende 4 Werte zu schätzen gelernt:

  • Individuen und Interaktionen stehen über Prozessen und Werkzeugen
  • Funktionierende Software steht über einer umfassenden Dokumentation
  • Die Zusammenarbeit mit dem Kunden steht über der Vertragsverhandlung
  • Das Reagieren auf Veränderung steht über dem Befolgen eines Plans

Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, schätzen wir die Werte auf der linken Seite höher ein.“

Im Anhang an diese Lektion findest Du ein PDF im A3-Format mit den 4 Werten des Agilen Manifests. Du kannst Dir das gerne ausdrucken und in Deinem Projektraum zur regelmäßigen Besinnung im Team an die Wand hängen.

Welche Prinzipien verfolgt das Agile Manifest?

Die Agilität hat sich im „Agilen Manifest“ folgende 12 Prinzipien bzw. Leitsätze auferlegt:

  • Zufriedenstellung des Kunden durch frühe und kontinuierliche Auslieferung von wertvoller Software
  • Agile Prozesse nutzen Veränderungen (selbst spät in der Entwicklung) zum Wettbewerbsvorteil des Kunden
  • Lieferung von funktionierender Software in regelmäßigen, bevorzugt kurzen Zeitspannen (sprich: wenige Wochen oder Monate)
  • Nahezu tägliche Zusammenarbeit von Fachexperten und Entwicklern während des Projektes
  • Bereitstellung des Umfeldes und der Unterstützung, welche von motivierten Individuen für die Aufgabenerfüllung benötigt wird
  • Informationsübertragung nach Möglichkeit im Gespräch von Angesicht zu Angesicht
  • Als wichtigstes Fortschrittsmaß gilt die Funktionsfähigkeit der Software
  • Einhalten eines gleichmäßigen Arbeitstempos von Auftraggebern, Entwicklern und Benutzern für eine nachhaltige Entwicklung
  • Ständiges Augenmerk auf technische Exzellenz und gutes Design
  • Einfachheit ist essenziell
  • Die besten Architekturen, Anforderungen und Designs entstehen in selbstorganisierten Teams
  • Selbstreflexion der Teams über das eigene Verhalten zur Anpassung im Hinblick auf Steigerung der Effektivität
Wie passt das Agile Manifest zur Realität in Großunternehmen?

Und wenn ich jetzt raten darf, dann geht Dir ein großes Raunen durch den Kopf. Stimmt’s? Und warum? Nun: weil in der Praxis von Großprojekten „nichts“ davon in der Realität zutrifft – und das obwohl eine agile Projektmethode vereinbart wurde. Stattdessen sieht die Realität doch eher so aus:

  1. Die Prozesse sind zu 100% einzuhalten, die Werkzeuge sind aus Sicherheitsgründen im Book of Standards festgelegt, die Interaktionen sind stark reglementiert (hey, nur nicht zu viel Kommunikation mit dem Kunden) und die Individuen haben zu tun, was der Vorgesetzte sagt.
  2. Wehe, die Dokumentation entspricht nicht den Vorgaben: dann bezahlt der Kunde nicht und das Teammitglied bekommt entweder einen übergezogen oder wird bei mehrfacher Nichteinhaltung aus dem Team entfernt.
  3. Was nicht im Vertrag steht wird auch nicht gemacht. Wird ein Zusatzaufwand erkannt, dann muss das vor Umsetzung erst vom Kunden bestellt werden. Und die Zusammenarbeit mit dem Kunden unterliegt strengsten Kommunikationslimitierungen, auf dass nichts an den Kunden dringt, was nachteilig sein könnte.
  4. Wenn der Plan nicht befolgt wird, dann wird auch nichts bezahlt und das Projekt wird eingestellt, weil Meilensteine nicht wie vereinbart erreicht werden. Wer kennt nicht die damit zusammenhängenden Eskalationen, die durch Vorgesetztenebenen beim Kunden und im eigenen Haus ausgelöst werden? Notwendige Veränderungen sind wo immer möglich zu umschiffen oder so lange wie möglich zu ignorieren.

Was hat die Realität dann noch mit Agilität zu tun? Nun ja, damit befassen wir uns intensiv nach der Grundlagenvermittlung. Jetzt die zum Verständnis wichtigsten Grundlagen – später die Praxis. Damit wird uns aber auch klar, welch weiter Weg bis zur Ausschöpfung des Potenzials noch vor uns liegt und wo die Stolpersteine für den Projekterfolg zu finden sind.

Im Anhang an diese Lektion findest Du ein PDF im A3-Format mit den 12 Prinzipien des Agilen Manifests. Du kannst Dir das gerne ausdrucken und in Deinem Projektraum als Orientierung für das Team an die Wand hängen.

Welches Ziel haben agile Prozesse?

Ein Ziel agiler Prozesse ist, Projekte durch die Reduktion administrativer Fesseln und die Berücksichtigung von menschlichen Bedürfnissen und Fehlern effizienter zu gestalten.

Das bedeutet im Detail, dass die Entwurfsphase und Planungsprozesse auf ein Mindestmaß reduziert werden, um schnellstmöglich zur Entwicklungsphase und damit zur nutzbaren Lösung zu kommen, die dann in regelmäßigen und kurzen Abständen weiterentwickelt wird. Erst damit kann eine Lösung flexibel an sich ändernde Kundenanforderungen angepasst werden, die im Gegenzug Kundenzufriedenheit und den technologischen Vorsprung generiert.

Wird in der Agilität ziellos gearbeitet?

Agilität bedeutet also in der Tat ein Arbeiten ohne durchgeplantes Ziel. Auf der anderen Seite ist es aber definitiv kein zielloses arbeiten, denn auch agiles Arbeiten braucht ein Ziel in Form einer Vision. Und jede Iteration, jeder Sprint in der Agilität braucht ein Zwischenziel, von dem sich dann das jeweils nächste Zwischenziel ableitet. Damit ist agiles Arbeiten viel anspruchsvoller als vorgeplantes Abarbeiten, weil die Planung Teil jeder Iteration wird. Denn erst mit dieser granularen Planung wird die Agilität und Flexibilität in einem Projekt erreicht.

Um dabei nicht im Chaos zu versinken, braucht es feste und von allen akzeptierten Regeln in Form von Prinzipien, einzuhaltende Rahmenbedingungen und die konsequente Nutzung zur Verfügung gestellter Projektwerkzeuge.

Ist der Projekterfolg in der Agilität höher als in Wasserfallprojekten?

Noch eine kleine Begleitinformation aus dem Standish Chaos Report: Projekte mit agilen Methoden haben eine wesentlich höhere Wahrscheinlichkeit erfolgreich abgeschlossen zu werden als bei Anwendung klassischer Wasserfallmethoden.

Abb.: Studien-Übersicht über den Projektverlauf von Wasserfall-Projekten und agilen Projekten

Bei der Wasserfallmethode sind in einer Studie mit über 10.000 Unternehmen im Jahr 2015

  • 11% der Projekte erfolgreich
  • 60% problematisch
  • 29% scheitern

Bei agilen Methoden sind

  • 39% der Projekte erfolgreich
  • 52% problematisch
  • nur 9% scheitern

Noch interessanter ist für uns die Betrachtung der Studien-Ergebnisse, wenn wir daraus nur die Großprojekte betrachten. Wenn bei Wasserfallmodellen nur 3% der Großprojekte erfolgreich abgeschlossen werden, dann besteht für Großunternehmen einfach Handlungsbedarf zur Verbesserung.

Grund genug also, dass agile Methoden neben der Vorbildfunktion der Big 5 immer mehr ins Interesse der Entscheidungsträger geraten. Dass zwischen „Interesse“ und „erfolgreicher Umsetzung“ eine größere Wegstrecke liegt, ist eine ganz andere Sache.

Mir gefällt der Marketing-Spruch aus einer Fernsehwerbung von BMW ganz gut, der da lautet: „Aus Arbeit wird Zusammenarbeit“. Mir zeigt so eine Massenwerbung die Priorität der Agilen Transformation in diesem Unternehmen. Aber es ist halt auch nur ein Spruch. Ein Marketing-Spruch, der zeigen soll, wo es hingeht. Genauso wie der Spruch im Vorstand: „Hey, wir sind jetzt agil!“. Und bis aus einem Spruch Substanz wird, vergeht viel Zeit, die für einen Kulturwandel im Unternehmen einfach nötig ist.

Ich möchte es in dieser Lektion auch dabei belassen, nicht tiefer auf agile Zeremonien, Methoden, Prinzipien und Regeln agiler Organisation eingehen, weil wir diese Bestandteile im Laufe dieser Kursreihe noch ganz detailliert betrachten werden. Mir ist zu diesem Zeitpunkt des Kurses nur wichtig zu verstehen, „warum“ wir in der Folge agile Methoden und Frameworks ins Zentrum des Handelns rücken und dann je nach Bedarf und Projektphase ganz pragmatisch mit Bestandteilen anderer Methoden ergänzen – ja, teilweise auch agile Methoden durch andere Lösungen ersetzen.

Fassen wir nun zusammen, was wir in dieser Lektion behandelt haben:

  • wir haben einen neuen Fachbegriff kennengelernt.
  • Wir kennen nun den Unterschied zwischen Wasserfall und Agilität,
  • wir haben zumindest eine Ahnung, was Agilität in der Realität ausmacht,
  • wir haben die Big 5 und ihre Unternehmensstrategien kennengelernt,
  • wir kennen die Gefahren für konventionelle Planungsorganisationen,
  • wir haben die Funktionsweise von Iterationen besprochen,
  • und die Mentalität, die wir für einen Veränderungsprozess brauchen,
  • wir haben die Ideale des Agilen Manifests kennengelernt,
  • genauso wie die 12 Prinzipien der Agilität,
  • wir haben erste kritische Blicke auf agile Ansätze in Großunternehmen geworfen,
  • und mit den Zielen sowie den damit verbundenen Vorteilen verglichen.
  • Und wir wissen jetzt – jeder für sich und das Unternehmen, für das er arbeitet – welcher Weg bis zum Ziel noch vor uns liegt.

In der übernächsten Lektion gehe ich auf Kritik ein, dass Agilität bei uns im Gegensatz zu einer libertären Gesellschaft wie in den USA doch gar nicht funktionieren würde. Doch zuvor gibt es für Dich wieder eine kleine Überraschung: Die folgende Lektion beinhaltet ein kurzes Quiz, bei dem Du für Dich selbst prüfen kannst, welche Inhalte aus dieser Lektion bei Dir hängengeblieben sind. Ich wünsche Dir dabei Viel Spaß, wir sehen uns in der übernächsten Lektion wieder!

*Quellenangaben: 22, 25, 26

Kommentar verfassen